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Wesendorfer Totalverweigerer stand in Hildesheim vor Gericht / Revision angekündigt:
Sieben Monate Haft im Fall Heiko Thiele

Von MANUEL WAUSCHKIES

Wesendorf/Hildesheim. Mit erstarrter Miene hörte der Angeklagte, wie der Richter sein Urteil sprach: Sieben Monate Haft ohne Bewährung verhängte gestern das Hildesheimer Landgericht gegen den 26jährigen Heiko Thiele aus Celle. Der Totalverweigerer wollte weder seine zehmonatige Wehrpflicht in der Wesendorfer Hammerstein-Kaserne noch den alternativen Zivildienst ableisten - aus Gewissensgründen, und weil auch der Zivildienst im Ernstfall ein Kriegsdienst sei.

Bereits im September war Thiele vor dem Gifhorner Amtsgericht zu vier Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Doch die Staatsanwaltschaft Hildesheim legte Berufung ein.

Die Vorgeschichte in Kürze: Am 1. April 1996 sollte Thiele seinen Wehrdienst antreten, nachdem der Postbeamte einen Ersatzdienst im posteigenen Katastrophenschutz abgebrochen hatte. Doch Thiele kam erst im August - von Feldjägern "begleitet". In Wesendorf sollte er einen Bundeswehr-Trainingsanzug anziehen - und sagte nein. Folge: drei Wochen Kasernenarrest. Noch zweimal verweigerte Thiele den Befehl, kam jedesmal wieder hinter Gitter.

"Ich bin mir keiner Schuld bewußt", betonte der Ex-Soldat in einer rund einstündigen Erklärung, die er zu Prozeßbeginn verlas - unter anderem vor zwei Dutzend Wesendorfer Soldaten im Publikum. Die Bundeswehr habe ihn willkürlich schikaniert. Abschließend rief der Verweigerer das Gericht auf: "Sie sollten sich genau überlegen, ob Sie sich zum Handlanger des Militärs machen und politische Justiz üben. Ich jedenfalls fordere Freispruch."

"Vorrangig zu klären ist", so Richter Krause, "ob bei Thiele eine ernstgemeinte Gewissensentscheidung vorliegt - oder ob er einfach nur schnell vom Wehrdienst davonkommen wollte." Davon, so Thieles Anwalt Günter Werner, könne auf keinen Fall die Rede sein; schließlich habe sein Mandant den langen Arrest und die Gerichtsstrapazen bewußt auf sich genommen. Zweite entscheidende Frage für den Richter: War durch Thieles Handeln die Disziplin der Truppe in Gefahr?

"Normalerweise nicht", meinte einer der beiden als Zeugen vernommenen Bundeswehr-Vorgesetzten Thieles. Aber: "Viele Wehrpflichtige werden sich gefragt haben, ob sie sich durch eine Totalverweigerung an der Bundeswehr vorbeimogeln können." Abgesehen davon habe eine Braunschweiger Totalverweigerer-Initiative Thiele seine Meinung "eingebleut".

Genauso sah es Staatsanwältin Falk in ihrem Plädoyer: Thiele habe sich unsozial und eigennützig verhalten. Die in Gifhorn verhängte Strafe sei "ein Geschenk des Himmels". Weil sie auch die Disziplin unter den übrigen Soldaten gefährdet sah, plädierte Falk für ein Jahr Haft ohne Bewährung.

Freispruch dagegen forderte Thiele-Anwalt Werner, der in Bremen wohnt, "wo die geforderte Strafe für eine Vergewaltigung verhängt wird". Im Fall Thiele sei jedoch niemand geschädigt worden; sein Mandant habe nur konsequent nach seinem Gewissen gehandelt. Das einzige, was der Fall Thiele unter den Soldaten ausgelöst habe, seien Diskussionen - und die gehörten in einer Demokratie eben dazu.

Richter Krause verhängte schließlich die siebenmonatige Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Begründung: Thiele habe eine ungerechtfertigte Fahnenflucht begangen. Das Grundgesetz lasse eine Totalverweigerung nicht zu. Von der grundgesetzlichen Gewissensfreiheit sei Thieles Entscheidung nicht abgedeckt. Der Richter weiter: "Es ist nicht auszuschließen, daß der Angeklagte aus Gewissensgründen handelte." Allerdings habe er das nicht in allen Punkten ausreichend erklären können. Zudem habe er die Truppendisziplin gefährdet.

Anwalt Werner wird Revision beim Oberlandesgericht Celle einlegen.

IK201196

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